Schweren Herzens haben wir uns von Shetland verabschiedet und in Lerwick wieder die Fähre Hrossey bestiegen. Die Überfahrt nach Kirkwall auf den Orkney Inseln dauert nur knapp sechs Stunden, also haben wir diesmal keine Kabine gebucht, uns aber zwei Plätze in der Pod-Lounge gegönnt. Die Pods sind geräumig, lassen sich fast in eine Liegeposition zurück kippen und es gibt sogar Care-Pakete mit leichten Decken, Ohrstöpseln und Schlafmaske. Die Lounge ist ruhig und leise. Gut investierte £18 pro Person. Aber bevor wir es uns bequem machen, genießen wir die sonnige Ausfahrt.
Es sind knapp 150 Meilen von Lerwick nach Kirkwall. Naiv dachten wir, dann werden sich beide nicht allzu sehr voneinander unterscheiden. Aber weit gefehlt! Shetland ist rauer, wenig geeignet für Landwirtschaft, dafür überall Schafe. Ölindustrie und Fischfang sind vorherrschend und der skandinavische Einfluss heute noch deutlich spürbar. Orkney hat fruchtbare Böden mit sanften grünen Hügeln und deutlich dichterer Besiedelung. Es erinnert uns überall an den wilden Westen Irlands . Eine Beschreibung, die wir hören, lautet: auf Shetland leben Fischer, die ein bisschen Landwirtschaft betreiben, während auf Orkney Bauern leben, die ein bisschen Fischfang betreiben.
Die meisten Besucher kommen aber nicht für die grünen Hügel nach Orkney, sondern wegen der vielen Stätten aus der Jungsteinzeit (dem Neolithikum), 10.000 – 2.000 v. Chr. Wobei Orkney „erst“ ab 6.000 v. Chr. erwiesen besiedelt war. Für die damalige Zeit bot die Inselgruppe offensichtlich sehr gute Lebensbedingungen. So hatten die Bewohner Zeit und Energie um die enormen Anstrengungen zu unternehmen die Grabkammern, Türme und Steinkreise zu errichten, die wir heute noch bestaunen können. Für den Broch of Gurness hat eine Forschungsgruppe berechnet, dass für den Bau über 100.000 Mannstunden benötigt wurden!
Die berühmteste und meistbesuchte dieser Stätten ist Skara Brae. Urlauber, Tagestouristen und Ausflügler der Kreuzfahrtschiffe kommen fast alle hierher. Wir buchen unsere Tickets vorher online (die meisten Tickets sind online auch billiger), an einem Tag, als nur ein kleines Schiff im Hafen liegt. Um den organisierten Touren möglichst aus dem Weg zu gehen, wählen wir unseren Slot für 13:00 Uhr in der Hoffnung, dass dann noch viele beim Mittagessen sind. Unsere Rechnung geht auf. Es ist zwar gut besucht, aber nicht völlig überlaufen. Später sehen wir, wie sich eine Reisegruppe nach der nächsten durch die Wege schiebt. Die Anlage ist nämlich deutlich kleiner, als wir erwartet haben und wir sind in 45 Minuten durch. Am Anfang findet sich eine Rekonstruktion eines Rundhauses. Da die meisten Möbel aus Stein hergestellt wurden, ist es nicht schwer, sich danach vorzustellen, wie das Dorf damals ausgesehen haben könnte. Als Besucher kann man nicht frei herumwandern, sondern muss auf dem geführten Rundkurs bleiben, der den Blick von oben in die Häuser ermöglicht. Deshalb auch die relativ kurze Verweildauer. Dafür liegt die Anlage schön direkt am Meer .
Der (Online-) Ticketpreis von £14 ist nicht ganz billig, aber im Sommerhalbjahr ist der Besuch von Skaill House inkludiert. Nur wenige Gehminuten von Skara Brae entfernt ist es ein komplett intaktes Herrenhaus, das seit dem 17. Jahrhundert von den hiesigen Lairds in direkter Erbfolge bis in die 1970er Jahre bewohnt wurde. Jetzt ist es für die Öffentlich zugänglich und zeigt vom formellen Esszimmer, über die gemütliche Bibliothek bis zum rosa Badezimmer und dem Eintrag von Queen Mum ins Gästebuch wie die Lairds und Ladies so lebten. Hätten wir sonst vielleicht nicht unbedingt besucht, aber wenn man schon mal da ist, nimmt man’s halt mit .
Südlich von Skara Brae liegt Yesnaby, ein Stück Steilküste wie aus dem Bilderbuch. Grün-blaue Wellen ergießen sich in weißem Schaum über die aufgefächerten Steinplatten. Der West Coast Walkway führt kilometerweit an dieser atemberaubenden Szenerie vorbei. Bis zum Brough of Biggins ist es noch recht belebt, denn hier soll man Papagaientaucher sehen können. Wir haben Glück und sehen einen, denn die kleinen Strolche sind sehr gut darin, sich in Nischen und unter Felsvorsprüngen zu verstecken. Die meisten Besucher drehen dann wieder um, zurück zum Parkplatz. Wer weiter geht wird schließlich mit der Felsformation des Yesnaby Castle belohnt, einem fotogen in einer Bucht aufragenden Felsen.
Noch weiter südlich liegt Stromness, dass mit seinen kleinen Gässchen und direkt am Wasser gelegen an Lerwick erinnert. Dass die Hauptstrasse nicht für den Autoverkehr gesperrt ist, ist das Einzige, was den Besuch etwas trübt. Eine besonders schöne Sicht auf den Ort hat man von See aus, z.B. der Fähre von Stromness nach Scrabster, wie wir später feststellen .
Im Nordwesten von Orkney Mainland (ja, auch diese Insel ist sehr fantasievoll benamst) liegt Marwick Head. Die Wellen rollen in langen Reihen weißschäumend durch die Bucht, und der Wind heult uns um die Ohren als wir uns auf zu den alten Fischerhütten machen. Am Horizont liegt die Insel Hoy im Dunst mit ihrem markanten Wahrzeichen, der Felsnadel des Old Man of Hoy ( die wir auch später auf der Fährüberfahrt nochmal sehen werden). Die Hütten wurden früher zur Lagerung von Fischerbooten über den Winter genutzt, und auch heute liegt noch allerhand Fischerzeug wie Netze, Bojen und Taue herum. Jedes Mal, wenn der Wind sich kurz legt wird’s für die Nase etwas unangenehm.
In die andere Richtung geht’s zum Kitchener Memorial, einem Turm der zu Ehren von Kriegsminister Kitchener errichtet wurde, der 1916 mit der HMS Hampshire an diesem Ort gesunken ist. Der Turm spielt aber nur eine untergeordnete Rolle. Der Anstieg von Süden ist relativ steil, aber gut zu bewältigen und bietet eine tolle Aussicht. Von Norden ist es etwas länger und weniger spektakulär. Ist man einmal oben, erstreckt sich eine lange Klippe ins Meer, voller Vögel die in einem Wahnsinnstempo durch die Gegend sausen. Am Horizont ragt der Brough of Birsay mit seinem kleinen Leuchtturm auf. Wer sich hier nicht wenigstens ein paar Minuten niederlässt und durchatmet ist selbst Schuld.
Der Brough of Birsay ist eine Gezeiteninsel, heißt bei Ebbe bzw. Niedrigwasser kann man sie über einen kleinen Damm zu Fuß erreichen. Drüben gibt es die Ruinen einer nordischen Siedlung aus dem 9. Jahrhundert. Aber die meisten Besucher zieht es zu den Klippen, denn hier gibt es quasi eine Garantie zwischen April und August auf Papagaientaucher zu treffen. Und auch wir haben Glück und sehen einige. Unsere letzte Station ist der kleine weiß-gelb gestrichene Leuchtturm. Als auf dem Rückweg der kleine Damm in Sicht kommt dann der große Schreck. Uns ist genau das passiert, wovor alle warnen. Wir haben die Zeit vergessen und die Flut ist gekommen! Im Schweinsgalopp den Hügel hinunter und dann die Erleichterung, das kriegen wir noch hin! Ein Hoch auf die Stretchjeans, die man bis über’s Knie ziehen kann. Und dann barfuß vorsichtig über den Damm geschlurft, bis wir es auf die andere Seite geschafft haben. Eine Stunde später ist kein Rüberkommen mehr.
Vom Parkplatz aus kann man noch weiter die Küste hinauf gehen, nach Skiba Geo. Hier steht noch eine alte Fischerhütte (heute aber verschlossen) inmitten von kleinen Kuhlen im Gras. In diesen Kuhlen wurden die Fischerboote über den Winter verwahrt. Bei auflaufend Wasser herrscht hier ordentlich Brandung. Einfach schön . Um den Besuch abzurunden halten wir noch kurz am Earl’s Palace in Birsay, einer kleinen Ruine. Aktuell sind einige Bereiche mit formschönen Bauzäunen abgesperrt, aber dafür kein Eintritt.
Geschichte, Legenden und Mythen scheinen auf Orkney noch sehr lebendig. Und es ist noch gar nicht so lange her, dass Geschichten erzählen der einzige Zeitvertreib in langen Winternächten war. Diese Tradition wird bewusst weitergeführt. Wir haben uns am Freitagabend zum Storytelling mit Lynn am Torffeuer eingefunden. In kleiner Runde lauschen wir der Geschichte der alten Maude, die uns erzählt, was sie alles an Strandgut findet. Und vom guten Farmer von North Ronaldsay, der einer Selkiefrau den Pelz stiehlt, damit sie nicht ins Meer zurück kann und bei ihm bleiben muss. Und von Annie und Will Norn und ihrem Abendteuer mit den Finnmännern. Das ganze in einem Studio, das in eine Wasserphantasiewelt verwandelt wurde. Für Nicht-Muttersprachler kann es schon schwierig werden alles zu verstehen. Aber selbst dann ist die Atmosphäre toll. Lynn schafft es mit ihrer Stimme und einigen wenigen Requisiten die Geschichten in unseren Köpfen zum Leben zu erwecken. Eine ganz klare Empfehlung von uns!